Artikel in der Hettlinger Zeitung
Einblick in die Tagesstrukturen
Bereits hat sich das erste Semester des Schuljahres 2024/2025 dem Ende zu geneigt. Die neuen Kinder und Kindergruppen haben sich seit dem letzten Sommer gut in den Tagesstrukturen eingelebt. Immer wieder ist es für uns als Team spannend zu beobachten, wie sich aus den anfänglich schüchternen und zurückhaltenden Kindern selbständige und selbstsichere Persönlichkeiten entwickeln. Ebenso finden lebendige und selbstsichere Kinder in der Kindergruppe Platz, neue Freundschaften werden durch alle Altersgruppen geknüpft und ein positiver «Gruppengeist» entsteht.
In den Tagesstrukturen beschäftigen wir uns immer wieder sehr intensiv mit pädagogischen Themen. In den Herbstferien besuchten wir daher eine Teamweiterbildung zum Thema «Neue Autorität» von Haim Omer. Wir lernten dabei die 7 Säulen der «Neuen Autorität» kennen und übten anhand von Fallbeispielen Handlungsmöglichkeiten bei pädagogischen Herausforderungen. Wir sind sehr motiviert, diese Ansätze in unserer täglichen Arbeit zu integrieren und umzusetzen.
Seit den Sommerferien beschäftigt uns auch das Thema «Partizipation». Unter Partizipation versteht man das Teilhaben, Mitentscheiden, Mithelfen und Mitgestalten von Menschen in ihrem täglichen Umfeld. Nachdem wir zuerst unsere Teamarbeit nach den Massstäben der Partizipation beleuchtet und nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht haben, sind wir nun daran, dieses Thema mit den Kindern zu bearbeiten. Anhand eines Fragebogens, den alle Kinder der Nachmittagsbetreuung erhalten haben, versuchten wir zu eruieren, wieviel Mitspracherecht und Teilhabe die Kinder bereits haben und wo es noch Verbesserungspotential gibt. Unser Ziel ist es, zusammen mit den Kindern eine Umgebung zu schaffen, in der die Kinder eine Stimme haben und sich einbringen und Veränderungsprozesse begleiten können. Folgende Themen wurden aufgegriffen: Raumgestaltung, Tagesgestaltung, Mithilfe im Haushalt (Ämtli), Hortrat. Ab Januar werden wir jeweils an unseren Teamsitzungen ausarbeiten, welche Ideen wir neu aufnehmen und schrittweise in unseren Hortalltag realisieren werden.
Hier noch einige Stimmen der Kinder aus den retournierten Fragebogen:
Das gefällt mir besonders?
- Freunde treffen
- Töggelikasten
- Dass man Hütten bauen kann
Was würdest du ändern?
- Weniger Gemüse im Essen
- Dass es nicht so laut ist
- Mehr singen und musizieren
Wo würdest du gerne mehr mitgestalten oder mithelfen?
- In der Küche (Tisch decken, abräumen, abwaschen, backen, kochen)
- Hort umgestalten und dekorieren
- Bei den jüngeren Kindern mithelfen
Januar 2025
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Draussenunterricht – Lernen mit allen Sinnen
An unserer Primarschule unterrichten inzwischen mehrere Lehrpersonen regelmässig im Freien. Wie dieser Draussenunterricht konkret aussieht, welche Überlegungen dahinterstehen und wie er mit dem Lehrplan 21 verknüpft ist, wird im Folgenden erläutert.
In Ländern wie Dänemark und Norwegen ist Draussenunterricht schon seit Jahren fest etabliert. Viele Schulen verlegen dort über 70 Prozent ihres Unterrichts nach draussen. In Schottland gehören Kenntnisse über Draussenunterricht sogar zum Erlangen des Lehrdiploms dazu. In der Schweiz engagieren sich der WWF und die Stiftung SILVIVA besonders für das Lernen in der Natur. Sie bieten Fortbildungen an und veröffentlichen praxisnahe Unterrichtsmaterialien, um Lehrpersonen bei der Umsetzung zu unterstützen.
Der Unterricht kann auf dem Pausenplatz, in Naturschutzgebieten, auf Wiesen oder auch im Wald stattfinden. Dabei verfolgen Lehrpersonen verschiedene didaktische Ansätze: Statt theoretischer Arbeitsblätter im Klassenzimmer werden Themen direkt in der Natur erfahrbar gemacht, z. B. Baumkunde, Gewässeruntersuchungen oder Steinzeitaktivitäten. Handlungsorientiertes Lernen steht im Fokus – statt Materialien ins Klassenzimmer zu bringen, nutzen die Kinder direkt vor Ort vorhandene Ressourcen. Auch mathematische Themen wie das Bruchrechnen lassen sich durch das Zerbrechen von Ästen anschaulich vermitteln. Der Pausenplatz wird durch seine Weitläufigkeit zum idealen Gruppenraum: Mit Strassenkreide können dort Buchstaben in Grossformat geübt, Vokabeln spielerisch vertieft oder geometrische Figuren mit selbstgebauten Zirkeln gezeichnet werden. Die Stiftung SILVIVA bietet mit ihrem Buch „Draussen unterrichten“ dazu zahlreiche Unterrichtsanregungen mit konkreten Bezügen zum Lehrplan 21.
Draussenunterricht fördert nicht nur fachliches Lernen, sondern auch überfachliche Kompetenzen. Die Natur konfrontiert Kinder mit Unerwartetem und Herausforderungen, wodurch sie wichtige Lebenskompetenzen wie Flexibilität, Kreativität, Zusammenarbeit, Kommunikation, Selbstreflexion und Resilienz entwickeln. Besonders zu Beginn eines neuen Klassenzuges lässt sich durch gemeinsame Aktivitäten wie Feuermachen und Kochen, den Bau eines Ast-Turms oder das Spannen einer Seilbrücke gezielt die Klassengemeinschaft stärken. Schon der Weg in den Wald ist wertvoll für die Beziehungsarbeit. Dabei kommen nicht nur die Kinder untereinander ins Plaudern und Spiel, sondern auch Lehrpersonen können mit ihren Schülerinnen und Schülern ins Gespräch kommen – eine solide Basis für die gemeinsame Arbeit.
Das Freispiel sollte bis in die Mittelstufe nicht unterschätzt werden. Kinder fordern sich dabei oft selbst heraus – manchmal effektiver, als es durch einen gezielten Input der Lehrperson möglich wäre. Oft reicht es, ganz ohne Spielmaterial (insbesondere Ball) oder gar elektronische Geräte einfach dazusein und sich mit sich selbst und anderen auseinanderzusetzen. Kleine Hilfen, wie einen Sack voller Seile bereitzustellen, können ausreichen und die Lehrpersonen werden zu Beobachtenden sowie zu Ansprechpersonen für Tipps.
Gerade zur Einführung neuer Themen hat sich der Draussenunterricht bewährt. Kinder können Inhalte durch eigenes Erleben besser begreifen. Aufträge mit offener Umsetzungsweise fördern individuelles Arbeiten: Beispielsweise wurde einmal die Aufgabe gestellt, ein 'kleines f' mit Naturmaterialien zu legen; da schleppte ein Kind einen Dreimeterast daher, während ein anderes emsig Tannennadeln für eine Miniaturversion sammelte.
Lernphasen im Freien verleihen den Kindern mehr Ausdauer. Die Schülerinnen und Schüler sind entspannter und durch die frische Luft sowie Bewegung leistungsfähiger. Laut der Stiftung SILVIVA gibt es Studien, dass regelmässiger Draussenunterricht insbesondere Hyperaktivität verringern und das Immunsystem stärken kann. Für Lehrpersonen stellt es jedoch eine Herausforderung dar, Unterrichtsinhalte für den Aussenbereich aufzubereiten. Auffällig ist, wie stark die Lehrmittel auf schriftliches Arbeiten an Pulten ausgerichtet sind.
Naturerfahrungen sind schlussendlich auch eine wichtige Grundlage für eine nachhaltige Lebensweise. Der direkte Kontakt mit der Natur fördert umweltbewusstes Handeln. Entscheidend sind dabei auch das Vorbild wichtiger Bezugspersonen, eigene Handlungsspielräume und der Austausch über Erlebnisse und deren Wirkung.
Hettlingen wurde mehrfach vom WWF besucht und bei den Aktivitäten im Wald begleitet. Zahlreiche Fotos unserer Schülerinnen und Schüler sind in Broschüren sowie auf der Website von draussenunterrichten.ch zu finden.
Fazit: Draussenunterricht ist weit mehr als eine alternative Lehrmethode. Er bietet eine Lernumgebung, die Kinder fachlich, sozial, emotional und gesundheitlich stärkt. Lernen im Freien ist ein zukunftsweisender Weg, Bildung ganzheitlich und nachhaltig zu gestalten. Denn wo das Vogelgezwitscher den Pausengong ersetzt, wächst nicht nur Wissen – sondern auch die Persönlichkeit.
Marco Rezzonico, Januar 2025
Zitat:
„Ich habe noch nie ein so grosses Schulzimmer gesehen!“
– Ein Vater am Schulbesuchsmorgen im Wald
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